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PIAZZA DEL DUOMO IN PISA

icona patrimonio sito UNESCO
WELTKULTURERBE
DOSSIER UNESCO: 395
VERLEIHUNGSSTADT: PARIS, FRANKREICH
VERLEIHUNGSJAHR: 1987
BEGRÜNDUNG: Die Piazza del Duomo beherbergt das Ensemble weltweit bekannter Meisterwerke mittelalterlicher Architektur, die die italienische monumentale Architektur vom 11. bis zum 14. Jh. maßgeblich beeinflussten.

„Schließlich Pisa, lebendig und streng, seine grünen
und gelben Paläste, seine Kuppeln und, entlang
des strengen Arno, seine Anmut. All das Edle in der
Weigerung, sich zu offenbaren. Schamhafte und
sensible Stadt. In den menschenleeren Straßen der
Nacht, so nah bei mir – nur allein dort spazieren
zu gehen, befreit sich endlich mein Verlangen nach
Tränen. Dieses offene Etwas in mir beginnt zu heilen.“

Tagebücher, Albert Camus

Beim Anblick der Piazza del Duomo in Pisa fällt es schwer, nicht an eine Theaterbühne zu denken. Da die Gebäude des Domplatzes frei stehen und nicht durch andere städtische Gebäude eingegrenzt werden, wirkt es, als ob sie auf der grünen, wie eine Theaterbühne anmutenden Wiese in einer Choreographie aus Stein tanzen würden. Hintergrund ist der sich ständig wandelnde toskanische Himmel. Abgesehen von der einzigartigen Räumlichkeit ist der beeindruckende heutige Zustand des Platzes das Ergebnis eines Unterfangens, das mehrere Jahrhunderte umfasste, während derer sich stilistische Phasen abwechselten. In diesem Zeitraum gelang es, die Hauptgebäude in einen harmonischen Einklang zu bringen. Der Platz verkörpert auch eine historische Phase, in der die Republik Pisa zwischen dem 11. und 13. Jh. eine Vormachtstellung im Thyrrenischen Meer einnahm und ein Handelsnetz schuf, das sich von den Balearen bis zum Heiligen Land erstreckte. Die Piazza dei Miracoli, wie der Domplatz auch genannt wird, spiegelt genau diese kulturelle Heterogenität des Mittelmeerraums in der Zeit des Mittelalters wider, mit seinen gleichzeitig klassischen, byzantinischen, armenischen und arabischen Einflüssen. Die letzten großen Arbeiten gehen auf das Ende des 13. Jhs. zurück: In einer gotisch geprägten Bauphase wird das Baptisterium fertiggestellt und die Arbeiten für den Camposanto Monumentale beginnen. Die großartigen Freskenzyklen gehören zu den Meisterwerken der Malerei, die in der Zeit der Jahrhundertwende vom 14. zum 15. Jh. entstanden sind.

NICHT ZU VERPASSEN

„Die imposante Kathedrale von Santa Maria Maggiore leuchtete in der Nacht wie ein Geist, mit ihrem nach dem Sieg über die sarazenischen Stadt Palermo geplünderten weißen Marmor.“

So beschreibt Francesca Ramacciotti den Dom in ihrem Buch I custodi della pergamena del diavolo, ein Eindruck, der sich über die Jahrhunderte hält.
Google Maps
Mit seinem im Grün der Wiese stehenden hinteren Teil und der vorderen Seite der Fassade, die in Richtung Meer ausgerichtet ist, hat der
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Dom einen lateinisch-kreuzförmigen Grundriss mit Apsiden in Lang- und Querhaus. Der Bauplan Buschetos, dem ersten Architekten des Doms, sah eine dreiteilige Gliederung des gesamten Umrisses vor, mit Blendbögen, Lisenen und einbogigen Fenstern sowie im Wechsel dazu reiche Marmorintarsien. Oben auf dem Tympanon über der Apsis steht der
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Greif von Pisa, ein Kunstwerk islamischen Ursprungs, das von der Republik Pisa im 11. Jh. in einem der Kriege gegen die arabischen Völker erbeutet worden war. Zu den Schätzen der Kathedrale gehört auch die
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Kanzel des Giovanni Pisano, ein Meisterwerk der Bildhauerkunst, sowie das
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Apsismosaik mit dem Evangelisten Johannes von Cimabue. Der Legende nach soll Galileo Galilei die Gestzmäßigkeit des Isochronismus entdeckt haben, als er die Schwingbewegungen einer Votivlampe in der Kathedrale beobachtete, die sich nun im Camposanto befindet. Etwas östlich befindet sich der
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Campanile, bekannt als Schiefer Turm von Pisa, den die Popart auch gerne als Motiv einsetzt. Kurz nach Baubeginn unter der Leitung von Bonanno Pisano (1173) kam es zu einer Absenkung des Untergrunds, dem Grund für die Schieflage des Turms. Von seinem „körperlichen Defekt“ einmal abgesehen, hat der Turm ein Design von außerordentliche Leichtigkeit, die durch Bögen bestimmt wird, welche vom Sockel bis zum Glockenturm reichen. Mit dem Bau des perfekt kreisförmigen
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Baptisteriums des Heiligen Johannes begann im Jahr 1153 der Architekt Diotisalvi. Allerdings dauerte es noch bis zum 14. Jh., bis endlich in der mittlerweile gotisch geprägten Bauphase die Kuppel auf dem Monument fertiggestellt wurde. Der nüchtern gehaltene Innenraum hat eine außerordentlich gute Akustik und die im Jahr 1260 durch Nicola Pisano fertiggestellte Kanzel gehört zu einem der bedeutendsten Zeugnisse gotischer Bildhauerei in Italien. Schließen Sie Ihren Rundgang mit dem jüngsten Bauwerk auf dem Domplatz ab, dem
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Camposanto. Hierbei handelt es sich um eine der ältesten Begräbnisarchitekturen Europas. Seinen Namen hat der Friedhof von der Erde, die vom Golgatha-Hügel auf dem dritten Kreuzzug nach Pisa gebracht wurde. Wie eine Schmuckschatulle verwahrt der Friedhof Camposanto einige der größten Freskenzyklen des italienischen 14. Jahrhunderts – fast eine Art Enzyklopädie der mittelalterlichen Welt der Bilder, die wie durch ein Wunder von den Bombenangriffen des Zweiten Weltkriegs verschont blieb.

„Werfen Sie Ihren Blick, wenn Sie nicht
geblendet sind, auf den Fluss, der wie
Feuer glüht, dann folgen Sie den anmutigen
Kurven der Paläste am Lung’ Arno [...],
und sagen Sie mir, ob irgendetwas einen
Sonnenuntergang in Pisa übertreffen kann.“

Conversations of Lord Bron, Thomas Medwin

Umgeben von den literarischen Anregungen der Lungarni ist es einfacher, die Worte, die von Generationen von Reisenden dem Fluss hinterlassen wurden, wieder von den Ufern und Brücken zu holen. 1821 lebten Lord Byron und Percy Shelley im Palazzo Lanfranchi am Lungarno Mediceo. Hier bildete sich der sogenannte Pisan Circle, eine Gruppe von ausgewanderten Intellektuellen. Einen ähnlichen Eindruck hinterließen die Lungarni bei Giacomo Leopardi, der seiner Schwester Paolina 1827 Folgendes schrieb: „Dieser Lung‘arno ist ein Spektakel, das so weit, […] so fröhlich, so lachend ist, dass es verzaubert“.

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FÜR DIE JÜNGSTEN

„FEHLER SIND NOTWENDIG, NÜTZLICH WIE BROT UND OFT SCHÖN: ZUM BEISPIEL DER TURM VON PISA.“
attività per bambini del sito UNESCO nr. 6
Wie Gianni Rodari in seinem Buch Il libro degli errori schreibt, beherbergt der Domplatz in Pisa nicht nur einen der schönsten Fehler der Welt, sondern er ist auch eine in Stein gemeißelte Erzählung von fantastischen Kreaturen und Tieren, die man sich im Mittelalter ausdachte. Dank dieser „Safari durch das Mittelalter“ könnt Ihr Euch auf Entdeckungsreise begeben. Beginnt am östlichen Ende der Kathedrale in der Nähe der Apsis. Über ihr befindet sich kein echtes Tier, sondern eine Kreatur, die durch Mythen und Legenden überliefert wurde, mit dem Kopf und Flügeln eines Raubvogels und dem Körper eines Löwen. Es ist der
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Greif von Pisa Das, was Ihr seht, ist nur eine Kopie. Das Original befindet sich im Museo dell’Opera del Duomo. Geht weiter und fangt die Tiere, die sich in der Fassade der Kathedrale verstecken: Wenn Ihr genau hinschaut, werdet Ihr sie überall finden! Lauscht zunächst dem Gebrüll der
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zwei Löwen, die auf den Säulen zu beiden Seiten des Hauptportals thronen: Sie wurden im 12. Jh. in der Bildhauerwerkstatt Rainaldos gemeißelt. Schaut alsdann nach oben und sucht die
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Wölfe, die an den Seiten der ersten Arkadenreihe unter den Skulpturen der beiden Evangelisten als Dachrinnen fungieren: Es handelt sich um Wasserspeier, die in keiner Kathedrale fehlen dürfen, die etwas auf sich hält. Das letzte Tier, das noch in der Fassade zu finden ist, ist der
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Adler, Symbol des Evangelisten Johannes. Er thront hoch oben auf der rechten Seite: Folgt der Neigung des Giebeldachs und steigt hinauf, um die Flügel zu sehen. Lasst Euch vom großen und schattigen Innenraum des Doms einnehmen. Auch hier gibt es sehr viele Tiere: Jetzt müsst Ihr ein Tier finden, das noch nicht „geschlüpft” ist. Durchquert das mittlere Kirchenschiff zwischen den hohen Säulenreihen und bleibt kurz vor der Kuppel stehen. An der dunklen Säule mit quadratischem Grundriss, die in unmittelbarer Nähe zur Kanzel steht, befindet sich unter einem Regal ein
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Ei: Am 25. März, der Tag, an dem im Mittelalter in Pisa Neujahr gefeiert wurde, wird es um 12 Uhr von einem Lichtstrahl beleuchtet. Bevor Ihr den Dom verlasst, solltet Ihr Euch noch die Skulpturen auf der Kanzel des Giovanni Pisano anschauen und nach
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Ochs und Esel suchen, die in der Krippe dargestellt sind. Nachdem Ihr den Dom verlassen habt, wendet Ihr Euch gen Norden und betretet den CamposantoDiese Friedhofsanlage wurde im 13. Jh. als Grabstätte für die Bürger und Bürgerinnen von Pisa erbaut, die bis zu diesem Zeitpunkt um die Kathedrale herum bestattet wurden. Die vielen Tiere auf den in die Grabsteine der adligen Familien eingravierten Wappen werden Euch beeindrucken. Das Tier, das Eurer Sammlung noch fehlt, ist allerdings sehr gut im sogenannten Triumph des Todes versteckt, dem berühmtesten Fresko eines Künstlers, der wahrlich einen lustigen Namen hat: Buffalmacco. Zu finden ist ein
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Hase, der an seinen langen Ohren zu erkennen ist.
sito UNESCO nr. 6 in Italia
LESEEMPFEHLUNGEN

Buchempfehlungen, um die Piazza dei Miracoli kennenzulernen.

  • Gespräche mit Lord Byron, Thomas Medwin (1824). Sammlung diverser Memoiren über den Aufenthalt von Lord Byron und Percy Bysshe Shelley in Pisa.
  • Epistolario, Giacomo Leopardi (1849). Über 900 Briefe, die zwischen 1810 und 1837 geschrieben wurden: ein wichtiges Dokument über das Leben des Dichters.
  • Tagebücher, Albert Camus (1972). Von 1935 bis zu seinem frühen Tod füllte Albert Camus zahlreiche Notizbücher mit Eindrücken, kreativen Ideen, Reflexionen und Reisenotizen die zusammen mit einer spontanen Autobiografie sein literarisches Werk umreißen.
  • Meine geniale Freundin, Elena Ferrante (2012). Der zweite Band der Saga Die Geschichte eines neuen Namens, handelt von der gesellschaftlichen und physischen Enge des Stadtteils, mit der sich die zwei Hauptfiguren konfrontiert sehen. Lila bleibt in Neapel und Lenù geht nach Pisa, wo sie ihre Ausbildung mit wichtigen Begegnungen und beginnenden Studentenrevolten fortführt.
  • Etica dell’acquario, Ilaria Gaspari (2015). Als Gaia nach 10 Jahren wieder nach Pisa kommt, warten nicht nur ihre Freunde von damals auf sie, sondern auch das Gespenst des Selbstmordes einer früheren Kommilitonin. Zwischen den Plätzen und Straßen und dem goldenen Käfig der Universität wird in diesem philosophischen Romain noir zu diesem geheimnisvollen Tod ermittelt.
  • Scacco alla Torre, Marco Malvaldi (2015). Der Autor der erfolgreichen Krimiserie, in der die prahlenden alten Männer der BarLume in dem fiktiven Ort Pineta tätig sind, erzählt in seinem charakteristischen, leichtfüßigen und witzigen Stil von seinem echten Pisa.
  • I custodi della pergamena del diavolo, Francesca Ramacciotti (2019). 1174 arbeitet der Architekt Diotisalvi auf der Baustelle des Turms. Eine dunkle Hand während sich in der Stadt aufgrund einer Reihe von Morden Angst breitmacht. Eine Ermittlung vor dem Hintergrund eines Pisas, das ein fast tausend Jahre altes Rätsel hütet.
  • Randagi, Marco Amerighi (2021). Pisa ist der Schauplatz der existenziellen Krise von Pietro Benati, der darauf wartet, zu verschwinden, ganz so, wie es ein Fluch für die männlichen Mitglieder der Familie vorhersagt. Als jedoch nicht er, sondern sein Bruder verschwindet, findet er nur noch Halt in den Verbindungen zu einer verirrten und entwurzelten Menschheit, der er seit jeher angehört.

Kinder- und Jugendliteratur:

  • Il libro degli errori, Gianni Rodari (1964). Mit einer unorthodoxen Schreibweise voller Erfindungsreichtum stellt Gianni Rodari ein Handbuch mit Geschichten, Kurzgeschichten und Kinderreimen zusammen, die alle im Namen des Irrtums stehen, was zu einem sprachlichen Wirbelsturm aus verrückter und bewegender Poesie führt.
  • L’Enigma di Agata, Roberta Baroni, Stella Robi (2022). Das Buchfestival von Pisa ist Schauplatz eines verzwickten Rätsels, bei dem sich drei unzertrennliche Freunde auf die Suche nach ihrer exzentrischen Tante Agata machen, die verschwunden ist wie das Juwel, das in dem Buch, dessen Autorin sie ist, vorkommt.
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