DIE SASSI UND DER PARK DER FELSENKIRCHEN VON MATERA
WELTKULTURERBE
Besichtigt man heute Matera, dann macht man gleichermaßen eine kulturelle und eine anthropologische Erfahrung. Seit 1935 – dem Jahr, in dem Carlo Levi die Stadt besuchte und seine Eindrücke schilderte – scheint eine Ewigkeit vergangen zu sein. Von einem, wie Palmiro Togliatti sagte, Ort der „nationalen Schande“ wurde Matera zu einem absoluten Muss in der modernen Bildungsreise, zur Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2019, zu einem begehrten Schauplatz für Filme und Fernsehserien und ist heute das Symbol einer Erlösung, die in Italien ihresgleichen sucht. Bevor sie nach dem Krieg in moderne Unterkünfte umgesiedelt wurden, lebten Tausende von Bürgern und Bürgerinnen der Stadt Matera unter entsetzlichen hygienischen Bedingungen mit Tieren zusammengepfercht in feuchten, stinkenden Höhlen. Die Sterblichkeitsrate von Kindern war sehr hoch. Der Weg hin zu einer Modernisierung war lang, trug aber Früchte (um ehrlich zu sein hatten sich viele Regisseure, von Pier Paolo Pasolini bis hin zu Mel Gibson bereits von einer der ältesten Städte der Welt verzaubern lassen). Seit mehr als zwei Jahrtausenden beherbergen die Schluchten ohne Unterbrechung ihre Bewohner in natürlichen oder künstlichen Unterkünften: ein außergewöhnliches Stadtbild, das aus Höhlenwohnungen, Felsenkirchen und unterirdischen Regenwasserzisternen besteht, während an der Oberfläche Kultstätten und Paläste stehen.
NICHT ZU VERPASSEN
„Als ob sie sich im Laufe der Zeit verdichtete und zu Materie wurde, ist die Stille genau das, woraus die Rinnen von Craco bestehen [...], der Tuff der Sassi di Matera [...]. Die ganze Basilikata besteht aus dieser immateriellen Substanz, was wahrscheinlich der Grund dafür ist, dass ihre Bewohner, wenn sie zu sprechen beginnen, manchmal nicht mehr aufhören. Schweigen kann einen in den Wahnsinn treiben.“
Um sich dem modernen Matera und dem Charakter seiner Bewohner anzunähern, empfiehlt sich nichts Besseres als die (bisher) 4-bändige Kriminalreihe Come piante tra i sassi von Mariolina Venezia mit der Staatsanwältin Imma Tataranni als Hauptfigur.
Google Maps
„Häuser sind Steinblumen. Häuser so klein
wie Bienenzellen. Tuffsteinkristalle. Ein
steinernes Spinnennetz, in dem Menschen und
Tiere standen und mit ihrem Atem gegen die
Feuchtigkeit ankämpften, die von unten kam.
Eine Landschaft aus Falten und Runzeln. Ein
Sumpf aus Rauch und Schlamm im Winter
und Lehm im Sommer, Lehm und Staub,
Spalten, Schlamm. Jetzt, ohne den Rauch, ohne
die Abwässer der Geschichte, erscheint der
Tuffstein sauber, dem Schleier beraubt, den die
Zeit und ihre Bewohner über ihn gelegt hatten.“
Franco Arminio, der große moderne Dichter, der über Dörfer und Städte schreibt, die „am Rand“ stehen, liest Matera durch die Ästhetik der Armut. Auch wenn diese Vergangenheit heute nicht mehr sofort sichtbar ist, so ist sie doch noch bei jeder Gelegenheit zu erkennen. Für einen Besuch in Matera sollte man sich Zeit nehmen, denn unter der Fassade einer touristischen Vorzeigestadt verbirgt sich eine tiefe Seele mit vielen Schichten, die denen der Sassi sehr ähnlich sind.
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Die italienischen UNESCO-Welterbestätten erzählen ihre Geschichte durch die Worte großer Schriftsteller, die ihre Geschichte und Schönheit gefeiert haben
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HUNDERTE VON HÄUSERN, FAST ALLE AUS WEISSEM STEIN, REIHTEN SICH AN DEN UMRISSEN EINES STEILHANGS AUF. ES SAH AUS WIE EIN GROSSES PUZZLE AUS RÖTLICHEN DÄCHERN UND WEISSEN FASSADEN, DURCHBOHRT VON LEEREN FENSTERN. DAS GANZE ERWECKTE DEN EINDRUCK EINES ORGANISIERTEN CHAOS, […] DAS SEINEN EIGENEN GESETZEN GEHORCHTE.“


LESEEMPFEHLUNGEN
Buchempfehlungen um die Stadt der Sassi kennenzulernen.
- Christus kam nur bis Eboli, Carlo Levi (1945). Ein unverzichtbarer Klassiker, um die Basilikata und Matera kennen zu lernen. Der Schriftsteller, Arzt und Maler Levi hat in seiner Verbannung die Gesellschaft der 30er Jahre auf bis heute unübertroffene Weise beschrieben und der Nachwelt hinterlassen.
- Come piante tra i sassi(2009), Maltempo(2013), Rione Serra Venerdì(2018), Via del Riscatto(2019), Ecchecavolo(2021), Mariolina Venezia. Die Bücher, in denen es um die Staatsanwältin Imma Tataranni geht, sind ein witziger und äußerst aktueller Querschnitt durch Matera und die Basilikata. Die Bücher wurden von der RAI mit großem Erfolg verfilmt.
- Giardini di pietra, Pietro Laureano (2012). Das Buch ist eine eingehende Studie über die ausgegrabene oder gebaute Steinarchitektur, die Matera und viele andere Orte im Mittelmeerraum charakterisiert und ein Element der starken Identität der Stadt darstellt.
- Geografia commossa dell’Italia interna, Franco Arminio (2013). Der Schriftsteller aus der Region Kampanien beschreibt die italienischen Dörfer und geht hier von den Emotionen aus, die Mensch und Natur in ihm auslösen.
- Guida indipendente alla città di Matera, Simonetta Sciandivasci (2018). Auf eine frische Art erzählt sie vom noch unentdeckten unterirdischen Matera. Mit schönen Illustrationen von Marta Pantaleo eignet sich der Reiseführer für etwas forderndere „Forscher“.
- La ballata dei sassi, Carlos Solito (2018). Zwei Schicksale kreuzen sich in der Stadt der Steine. Ettore, ein geheimnisvoller Schriftsteller, kehrt nach vielen Jahren in seine Heimat zurück und sät seine Verse in den Wind. Maria macht es sich zur Aufgabe, diese in einer poetischen Schatzsuche einzusammeln.
- Andare per Matera e la Basilicata, Eliana Di Caro (2019). Die Journalistin aus Matera führt die Leser durch die Stadt und die gesamte Region. Dabei nimmt sie die Persönlichkeiten mit, die das Bild von Matera und der Basilikata maßgeblich mitbeeinflusst haben: Carlo Levi, Pier Paolo Pasolini, Giovanni Pascoli und viele mehr.
- Matera. Le radici e la memoria, Francesco Niglio (2019). Mit diesem Werk entdecken wir das bäuerliche, das pastorale Matera und das Matera des Handwerks der 50er und 60er Jahre, das noch weit vom immer näher rückenden internationalen Rampenlicht entfernt ist.
Kinder- und Jugendliteratur:
- L’ultima battaglia, Licia Troisi (2012). Das fünfte Buch der Saga La ragazza drago enthält auch ein Kapitel, das in Matera spielt: eine der Etappen, zu denen die Hauptfiguren gehen, um Bruchstücke der Thuban-Frucht zu finden.
- Matera 21 settembre 1943, Pino Oliva (2014). Matera war die erste Stadt in Süditalien, die sich gegen den Nazifaschismus stellte. Diese schöne graphic novel ist den Geschehnissen jener dramatischen Tage gewidmet, die durch den Historiker Francesco Ambrico rekonstruiert wurden.
- Il licantropo di Matera (2020). Die Sassi mit ihren Gassen und dem ihnen innewohnenden Geheimnis sind die ideale Kulisse für diese Horrorgeschichte mit Wolfsmenschen und Vampiren aus der Dampyr-Comicserie.
- Pimpa va a Matera, Altan (2022). Der gepunktete Hund wandert durch die Stadt der Sassi und entdeckt dabei in den Fels gehauene Kirchen, uralte Traditionen und märchenhafte Aussichten.
- Topolino e il segreto dei Sassi (2022). In dieser Mickey Maus-Ausgabe ist Matera die Hauptort. Die berühmteste Maus des Comics macht sich von Texas aus auf den Weg in die Stadt der Sassi, um den Entführungsfall von Onkel Rocco zu lösen.

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