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DIE ALTSTADT VON SIENA

icona patrimonio sito UNESCO
WELTKULTURERBE
DOSSIER UNESCO: 717
VERLEIHUNGSSTADT: BERLIN, DEUTSCHLAND
VERLEIHUNGSJAHR: 1995
BEGRÜNDUNG: Die Altstadt von Siena beweist schöpferische Inspiration und drückt die ästhetischen und künstlerischen Fähigkeiten des Menschen aus. Ihre Architekturen, Malerei, Statuen sowie ihre Stadtplanung haben einen positiven Einfluss zwischen dem 12. Jh. und dem 17. Jh. in Italien und in Europa ausgeübt. Dank ihrer Struktur und ihrer Entwicklung ist sie eines der besten Beispiele für eine Stadt des Mittelalters und der Renaissance.

„Aber Siena bleibt mittelalterlich und fast in der Zeit
eingefroren. Das Staunen entsteht, wenn man eine
intakte Struktur einer mittelalterlichen Stadt sieht,
die nichts Archäologisches an sich hat. Das heutige
Leben mit seinen hitzigen Leidenschaften brodelt
dort fast wütend vor sich hin; nie hat man den
Eindruck, in einem Anachronismus zu leben.“

18 mal Italien, Guido Piovene

Der nicht vorhandene Anachronismus, den Piovene beschreibt, ist genau das Markenzeichen, das Siena in der ganzen Welt berühmt gemacht hat. Sechzig Jahre, nachdem 18 mal ITALIEN geschrieben wurde, ist Siena immer noch eine der einzigartigsten Städte Italiens. Und selbst, wenn es das Schicksal der Kunststädte ist, in ihrem Prestige gefangen zu bleiben und vom Massentourismus überrannt zu werden, so muss man doch anerkennen, dass es weiterhin gute Gründe gibt, Siena zu besuchen. Wie im Mittelalter verzaubert Siena seine Besucher noch immer auf dieselbe Art und Weise: Die Stadt besteht aus 17 verschmolzenen Vierteln, spricht jedoch mit einer Stimme. Siena ist ein Mikrokosmos, Zeitzeugin für eine ausgesprochen lebendige Zeit im Mittelalter. Die Stimme Sienas hallt noch immer aus den Steinen der Palazzi, aus dem gotischen Kaleidoskop des Doms, von den Zinnen des Palazzo Pubblico, der seit jeher an der Piazza del Campo, der riesigen „Schale“ steht, in der auch der Palio stattfindet. Dies ist der Beweis für eine reiche Geschichte, die Siena jedoch nicht dazu verdammt, in der Vergangenheit stehen zu bleiben, sondern dazu führt, dass sie mit der Abwesenheit des Anachronismus aufwartet.

NICHT ZU VERPASSEN

„Wir beißen in das letzte Stück des Val d’Elsa und erreichen nach dem Aufstieg der Badesse triumphierend Siena. [...] Aber wir sind noch nicht satt, der Bus fährt ab, um die Crete Senesi bis zum Monte Amiata zu erkunden. Mit vier Salami-Brötchen und einer guten Flasche Rosso di Barbi in der Hand springen wir rußverschmiert zwischen den Touristen an Bord.“

Die Gegend um Siena ist ein Gebiet, das zum Wandern einlädt, auch wenn man vielleicht das Auto dem Zug vorzieht, wie Paolo Rumiz in L’Italia in seconda classe. Denn zwischen Siena und dem Val d‘Orcia liegen die Crete Senesi, eine durch Erosion geprägte weiche Hügellandschaft. Durch die Verwitterung des Tons werden die Böden grau und im Sommer golden und es entstehen Calanchi und Biancane, das heißt weiße Hügel mit schmalen Furchen. Ganz anders ist es in San Galgano, im Val di Merse, westlich von Siena: Die Abtei ist ein Überbleibsel eines gotischen Bauwerks, dem der Zahn der Zeit zugesetzt hat.
Google Maps
Wir verlassen Siena in Richtung Süden und legen an der
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Site Transitoire (an der Leonina-Straße) – einem Kunstwerk Jean-Paul Philippes (1993) – eine kurze Rast ein: ein Steinkunstwerk, das wie ein O-förmiger Durchgang aussieht, in dessen Inneren am Tag der Sommersonnenwende vor dem Hintergrund der Crete Senesi die Sonne untergeht. Wir gehen weiter nach
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Asciano, wo wir das Museo Civico Archeologico e d’Arte Sacra im Palazzo Corboli mit seinen Fresken und Holzkreuzen aus dem 14. Jh. besichtigen können. Zehn Kilometer weiter südlich liegt die
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Abbazia di Monte Oliveto Maggiore, ein mittelalterlicher Komplex, der für seinen Kreuzgang mit 35 mit Fresken bemalten Nischen aus dem späten 15. Jh. berühmt ist. Von hier aus fahren wir in Richtung Val di Merse und geben
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Abbazia di San Galgano ins Navi ein. Die Abtei ist ein Wallfahrtsort, wobei die Pilgerströme schon fast einem biblischen Exodus gleichen. Sie ist die am häufigsten besuchte Stätte in der Umgebung von Siena. Mitten in der Landschaft gelegen, hatte diese außergewöhnliche Zisterzienserkirche, die im 13. Jh. erbaut wurde, wenig Glück: Zwischen Hungersnot (1329), Pest (1348) und Plünderungen stürzten bereits im 16. Jh. die meisten Gewölbe ein. Zwei Jahrhunderte später stürzte der Glockenturm aufgrund eines Blitzschlags ein und die Kirche wurde endgültig entweiht. Von San Galgano aus erreichen wir in 10 Minuten
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Chiusdino, ein angenehmes mittelalterliches Dorf mit Stadtmauern, dem Geburtshaus des Heiligen Galgano sowie dem kleinen, aber interessanten (dies gilt insbesondere für den Ausblick auf die Landschaft aus dem dritten Stock) Museo Civico e Diocesano d’Arte Sacra.

„Jetzt ist es an der Zeit, das Tempo zu erhöhen.
Du musst Dir und anderen beweisen, dass
Du noch Kraft hast. Sei vorsichtig, drei
Runden sind lang, und wenn Du zu diesem
Zeitpunkt schon alles gegeben hast, bist Du
aufgeschmissen. Du musst lernen, Deine
Energie einzuteilen, zu halten und dann
loszulassen, wenn der richtige Zeitpunkt
gekommen ist.“

Siena a modo tuo, Lorenzo Bianciardi, Andrea Sguerri

Schon die Vorbereitungen halten die Stadt über das ganze Jahr hinweg in Atem und kulminieren in den vier Tagen vor dem Rennen mit Veranstaltungen aller Art. Der Höhepunkt ist dann der Palio di Siena, der kaum länger als eine Minute dauert, nämlich genau die Zeit, die die Pferde brauchen, um die Piazza del Campo drei Mal zu umrunden. Laut Lorenzo Bianciardi und Andrea Sguerri sind die Hintergrundsgeräusche mit dem Lärm in Dantes Hölle vergleichbar. Den Palio gibt es in unterschiedlichen Formen seit dem 13. Jh., als er von außerhalb der Stadtmauern kommend in Richtung Dom ausgetragen wurde. Die 17 Viertel traten gegeneinander an. Der Preis für den Sieger war ein pallium, ein kostbares Seidentuch, während der Letzte die Schande des porco, vielleicht eine schweineförmige Kopfbedeckung, erhielt. Zu Beginn des 17. Jhs. wurde die Veranstaltung auf die Piazza del Campo verlegt. In der Tat scheint dieser ungewöhnliche Platz speziell für das berühmteste Pferderennen der Welt geschaffen worden zu sein. Der Platz gehört zu keinem der 17 Viertel.

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FÜR DIE JÜNGSTEN

„SIENA, EINE GEHEIMNISSVOLLE STADT, DA SIE GEWUNDEN IST UND IHRE STRASSEN SICH UMEINANDER WINDEN, ERWARTET UNS UNTER TÜRMEN UND EINEM RIESIGEN MOND.“
attività per bambini del sito UNESCO nr. 10
Die Erkundung der gewundenen Stadt, wie Piovene sie in 18 mal Italien nennt, kann ein sehr unterhaltsames Abenteuer für jedes Alter sein. Wir beginnen am Dom mit dem Rundgang der
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Porta del Cielo, der durch die Dachböden der Kathedrale führt und Zugang zu den Luftwegen rund um die Kuppel, die Terrassen um Gebäude und die Loggia an der Fassade bietet. Der eindrucksvollste Durchgang ist auf der Balustrade der Gegenfassade, der einen Blick auf das Innere der Kirche bietet, den man nicht so schnell vergessen wird. Ein weiterer empfehlenswerter Rundgang ist der, der zum
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Panorama dal Facciatone führt, dem einzigen Zeugnis des Erweiterungsprojekts der Kathedrale, das 1357 aufgrund der Pest gestoppt wurde. Es hätte die Fassade des neuen Doms sein sollen. Wenn man bedenkt, dass der heutige Dom nur das Querschiff (die kurze Seite des Kreuzes) des neuen Doms gewesen wäre, versteht man, wie groß der neue Dom hätte sein sollen. Vom Aussichtspunkt können wir die architektonischen Ausmaße des ehrgeizigen Projekts sehen. Von hier aus geht es weiter zum
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Complesso Museale di Santa Maria della Scala, einem ehemaligen Krankenhaus, das in ein Museumszentrum umgewandelt wurde. Mit seinen Freskenzyklen spiegelt es die mittelalterliche Gesellschaft wider. Der Rundgang beginnt zwar in der Alten Sakristei, die Zugang zur Kirche Santissima Annunziata gewährt, doch der beeindruckendste Raum ist der Pellegrinaio, ein Saal, in dem die Durchreisenden schliefen. Wände und Gewölbe sind mit Fresken bedeckt, die den Alltag in einem Krankenhaus aus dem 15. Jh. darstellen. Der Komplex beherbergt heute mehrere Wege, wie den Tesoro di Santa Maria della Scala, eine Sammlung byzantinischer Reliquien, das Museo Archeologico Nazionale mit Tausenden von Stücken aus etruskischer und römischer Zeit, darunter mehrere Sarkophage und Aschenurnen, und das Museo d’Arte per Bambini, wo man dank ständig wechselnder kreativer Aktivitäten selbst zum Hauptdarsteller der Führung werden kann. Wenn es im Sommer drückend heiß ist, finden wir Schutz in der
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Fortezza Medicea und können die Überreste des imposanten Schutzwalls besichtigen, den Cosimo I. de‘ Medici 1555 errichten ließ, um einen Aufstand der Sienesen abzuwehren. Ansonsten gibt es noch den
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Botanischen Garten in der Nähe der Porta Tufi: 25.000 m2 mit einheimischen und exotischen Pflanzen. Wir beenden unseren Rundgang im
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Museo di Storia Naturale dell’Accademia dei Fisiocritici, wo wir das Skelett eines 15 Meter langen Wals bestaunen oder uns von den Nachbildungen der giftigsten Pilze der Welt beeindrucken lassen können.
sito UNESCO nr. 10 in Italia
LESEEMPFEHLUNGEN

Buchempfehlungen, um Siena und seine Umgebung zu entdecken.

  • 18 mal Italien, Guido Piovene (1957). Piovene bereiste Italien drei Jahre lang, um diese einzigartige und äußerst detaillierte Reportage zu schreiben, die als Klassiker der italienischen Reiseliteratur gilt. Von den Alpen über Siena bis nach Sizilien stellt sein Blick eine Einladung dar, unsere Wunder zu entdecken.
  • Terra di Siena, Pablo Echaurren (2007). Die Kommissarin Vanessa Tullera wird beauftragt, eine Reihe von seltsamen Morden zu untersuchen, und zwar genau zur Zeit des Palio di Siena. Sie wird von einem seltsamen Priester und einem Reporter unterstützt. Sie finden die Lösung innerhalb der Stadtmauern.
  • L’Italia in seconda classe, Paolo Rumiz (2009). Das Ziel ist, in Italien so viele Kilometer mit dem Zug zurückzulegen wie zwischen Moskau und Wladiwostok liegen, und das ausschließlich in der zweiten Klasse. Ein interessanter Blick auf Italien von Seiten eines ironischen und intelligenten Autors.
  • Sguardi bruciati di Siena, Marco Catocci, Mauro Pagliai (2011). Für Liebhaber spannender Krimis gibt es hier einen, der im Siena des Palio spielt. Die Geschichte erzählt von Giulio Codorni und seiner Tochter, die nach einem üblen Streit mit ihm von zu Hause wegläuft, was die Handlung zu einem beunruhigenden Szenario macht.
  • Donne, madonne, mercanti e cavalieri. Sei storie medievali, Alessandro Barbero (2013). Sechs Blicke, sechs Geschichten über das Mittelalter und sein gesellschaftliches Leben auf der Grundlage der Porträts einiger Figuren. Dazu gehört auch die Mystikerin Katharina von Siena, durch die in erster Linie die Spiritualität im Mittelalter analysiert wird.
  • Siena My Way, Lorenzo Bianciardi, Andrea Sguerri (2019). Als Dialog zwischen zwei Freunden in einer sehr angenehmen Sprache geschrieben, erzählt Siena a modo tuo viele Geschichten der Stadt Siena: eine Art Übersicht, durch die der Leser viel Neues erfahren kann.

Kinder- und Jugendliteratur:

  • Teo, Sofia e l’avventura nel Duomo di Siena. Alla scoperta del tesoro della cattedrale, Ilaria Bichi, Silvia Rocucci, Agnese Mommona (2014). Das Abenteuer der beiden jungen Hauptfiguren spielt sich in der Kathedrale der Stadt ab, einem kleinen, steinernen Universum mit Sternengewölbe und seinen Skulpturen, Altarbildern, Glasfenstern sowie außergewöhnlichen Figuren.
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